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REZENSION (ursprünglich erschienen in AmigaGadget Nr.33)

Marillion: Seasons End

24 Bit Digital Remaster

Plattenlabel : EMI Records Ltd.
Genre : Progressiv-Rock
Spieldauer : 99:26 min
Preis : ca. 40 DM

Die bisherige Entwicklung von "Marillion" wird deutlich von einem Ereignis in zwei Hälften unterteilt - die Ersetzung des im Zorn scheidenden Sängers "Fish" durch den bis dahin kaum bekannten Steve Hogarth. EMI, die zu ihrem hundertjährigen Jubiläum eine umfassende Wiederveröffentlichung der "Marillion"-Diskographie gestartet haben, tragen diesem Umstand Rechnung. So erschien zeitgleich zur digital neu gemasterten Version von "Script For A Jester's Tears", des ersten "Marillion"-Albums überhaupt, eine ebenso bearbeitete Neufassung von "Seasons End", der ersten CD, die die Band mit dem neuen Sänger Hogarth aufgenommen hatte. Diese Praxis will man auch in Zukunft beibehalten - gleichzeitig mit jedem Remaster aus der Fish-Ära soll eines aus der zeit mit Hogarth erscheinen. Bleibt die Frage, ob man bei "Seasons End" die sehr hohe Qualität des "Script"-Remasters (vgl. die Rezension in diesem "Gadget") würde halten können.

Mit "Seasons End" hatte die Band damals versucht, sich bei Wahrung hoher musikalischer Qualitätsstandards ein etwas mainstreamtauglicheres Image zuzulegen - was unter anderem in einer hohen Zahl an Singleauskopplungen und den zugehörigen Musikvideos deutlich wurde. Die Stücke auf dem Album waren demzufolge allesamt in sich abgeschlossen und auch von der Spielzeit her etwas kompakter als auf den noch mit "Fish" aufgenommenen Vorgängern. Dennoch haben sich "Marillion" beim Komponieren zumindest ebenso viel Mühe gemacht wie bei ihren vorherigen Arbeiten. Und so gelang ihnen auf "Seasons End" das seltene Kunststück, Stücke zu schreiben, die einerseits auf einer kommerziellen Ebene funktionieren (also eine eingängige Melodie haben und den unaufmerksamen Hörer nicht überfordern), die aber dennoch nicht simpel sind, sondern auch auf tiefergehenden musikalischen Ebenen noch Überraschungen parat halten. Erfreulicherweise hat sich die Band auch nach dem Abgang des insoweit schon immer recht engagierten "Fish" nicht von der Behandlung auch politischer Themen in ihren Texten abbringen lassen - so beschäftigt sich "The King Of Sunset Town" vor allem mit dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens und "Berlin" zeichnet auf eindringlich-unaufdringliche Weise das Bild der lange Zeit vom Eisernen Vorhang blutig in zwei Hälften geteilten Stadt. Nach wie vor Respekt verlangt aber die reibungslos vollzogene Umstellung auf den neuen Sänger mit seiner so ganz anderen, rauheren Stimme ab. Dabei findet sich unter den Stücken auf "Seasons End" kein einziger Schwachpunkt - von den treibenden Rock-Nummern "Hooks In You" und "The Uninvited Guest" über die eindringlichen Balladen "Seasons End", "After Me" und "Holloway Girl" bis hin zu dem stark progressiv angehauchtem "The Space...", auf dem Keyboarder Mark Kelly für scheinbare Streicheruntermalung sorgt, und dem brillianten "Easter" erreichen alle Songs einen durchgehend hohen Standard. Allerdings war auch die Aufnahmetechnik 1989 bereits sehr weit entwickelt, so daß die Qualität der Original-CD eigentlich nie Wünsche offen ließ. Dementsprechend unauffällig fiel die nun getroffene digitale Nachbereitung aus. Lediglich in den Höhen scheint das Album nun noch etwas klarer zu klingen - im großen und ganzen fallen die Unterschiede aber nicht sonderlich ins Gewicht. Ganz audiophil Veranlagte werden sie vielleicht dennoch freuen.

"Someone got stranded in no mans land
Dancing in the spotlight to the sound of clapping hands
Nobody knows who's side he was on
It's a risk that you take in no mans land
Nobody knows what made him decide
To run for freedom and for certain suicide."

Die natürlich auch beim "Seasons End"-Remaster vorhandene Bonus-CD enthält vor allem die "Mushroom Farm Demos". Dabei handelt es sich um noch unproduzierte erste Demoversionen von Stücken, die "Marillion" für das "Seasons End"-Album komponiert hatten: "The King Of Sunset Town", "Holloway Girl", "Seasons End", "The Uninvited Guest", "Berlin" und "The Bell In The Sea". Sie alle klingen, wie man sich Demoversionen so vorstellt - noch recht ursprünglich und unfertig. Dennoch ist es sehr aufschlußreich, einmal zu sehen (respektive zu hören), wie sich ein Stück von einer ersten Fassung dann zu seiner endgültigen Form entwickelt hat. Das sehr dramatische "The Bell In The Sea", der einzige Song, der es im übrigen nicht auf das Album geschafft hat, befindet sich noch ein zweites Mal auf der Bonus-CD - und zwar in der Version, die als B-Seite auf der "The Uninvited Guest"-Singleauskopplung zum Einsatz kam. Vom "Uninvited Guest" fand ebenfalls noch eine weitere Fassung Platz auf der CD. Die 12"-Version unterscheidet sich von der auf dem Album selbst befindlichen Variante vor allem durch ein eigenständiges Intro, aber auch durch zahlreiche kleinere Änderungen im Melodieverlauf und der Instrumentierung. Abgerundet wird die zweite CD schließlich durch "The Release", ein bisher wohl noch unveröffentlichtes, sehr kraftvolles "Marillion"-Stück, das den Eindruck von dem hohen Niveau, auf dem sich die Band 1989 bewegte, erneut zu bestätigen weiß. Alles in allem bietet die Bonus-CD also nicht viel neues Material - die lediglich leicht unterschiedlichen Versionen der Stücke des Albums dürften wohl nur für Fans interessant sein.

Erneut hat EMI dem Remaster ein 24 Seiten starkes Booklet spendiert. Und erneut findet der CD-Käufer hier alle Songtexte - bedauerlicherweise ebenfalls aufgrund des Designs zum Teil nur sehr schwer lesbar. Im Gegensatz zum "Script"-Remaster haben bei "Seasons End" jedoch nur zwei Bandmitglieder Anmerkungen zur CD zu Papier gebracht - Bassist Pete Trewavas und der neue Mann, Steve Hogarth. Während Trewavas vor allem die Integration des "Fish"-Nachfolgers in die Band beschreibt, gibt Hogarth u.a. zu jedem Stück des Albums mal kürzere, mal ausführlichere, immer aber sehr interessante Erläuterungen (so weist H. darauf hin, daß sich "King" (Of Sunset Town) nicht ohne Grund auf "Deng Xiaoping" reimt). Hinzu kommen ein kurzer Kommentar von Carl Glover, der für die neue Optik "Marillion"s zuständig war, und eine (wohl aus 1989 stammende) Kritik des "Seasons End"-Albums von John Hotten. Leider hat man auch auf eine Abbildung der Single-Cover verzichtet und statt dessen - ganz im Trend der damals beabsichtigten kommerzielleren Ausrichtung - das Booklet überwiegend mit Fotos der Bandmitglieder gefüllt. Ob das unbedingt eine begrüßenswerte Entscheidung war, scheint zweifelhaft. Immerhin hat es "Marillion" aus guten Gründen nicht zur Boygroup geschafft... Weiterhin ist ein kleiner Schönheitsfehler am Booklet zu bemängeln. Während die Spielzeiten der Stücke auf der zweiten CD lobenswerterweise angegeben sind, hat man dies für CD 1 leider schlichtweg vergessen.

"I'm the banquo at your banquet
I'm the cuckoo in your nest
I'm your fifteen stone first-footer
I'm the uninvited guest."

Während "Seasons End" selbst "Script" in nichts nachsteht (soweit man derart unterschiedliche Alben überhaupt sinnvoll vergleichen kann), ist bei den Remaster-Versionen "Script" eindeutig Punktsieger. Das beginnt schon damit, daß die Verbesserung der Aufnahmequalität dort beeindruckender ist als beim moderneren "Seasons End". Hinzu kommt das uninteressantere und nicht ganz so sorgfältig gestaltete Booklet und die Tatsache, daß die Bonus-CD von "Seasons End" nur zwei Stücke enthält, die nicht in anderer Version auch auf dem Album selbst zu finden gewesen wären. "Marillion"-Fans wird das natürlich nicht vom Kauf auch dieses Remasters abhalten - was ebenfalls mitnichten ein Schaden ist. Neulingen dürfte die zweite CD aber eher überflüssig vorkommen. Ihnen sei guten Gewissens das Original zu empfehlen - auch wem "Script" oder andere "Marillion"-Alben nicht gefallen, sollte "Seasons End" eine Chance geben. Sowohl der hitparadengewöhnte als auch der nach musikalischer Tiefe suchende Hörer werden mit diesem erstklassigen Album voll und ganz auf ihre Kosten kommen.

Andreas Neumann

"Above all, `Seasons End' retains Marillion's ability to create albums that although not immediate, bite deeper and reveal more with each play. A legacy of some of the best and most beautiful music can't be rubbed out with bad blood. Marillion have proved that they are more than one man as Fish must prove he's more than one band."

-- John Hotten

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Letzte Änderung: 17. Mai 1998

Andreas Neumann (Neumanna@stud-mailer.uni-marburg.de)